Es ist ruhiger geworden um uns. Zumindest Blog-Weise. Doch wir haben ein Jubiläum zu verkünden – einfach weil das eben so gemacht wird mit diesen Zeitabschnitten und Meilensteinen usw. Also los geht’s…
Weniger Geschwindigkeit. Mehr Moment. Weniger Konsum. Mehr Genügsamkeit. Weniger Fleisch. Mehr Selbstversorgung. Weniger Stress. Mehr Leben. Weniger Vorgaben. Mehr Freiheiten… Doch was ist nach zwei Jahren in der neuen Heimat und der Flucht aus dem Berliner Großstadtalltag von diesen umfangreichen Vorhaben übrig geblieben? Und wurde vielleicht der eine Fehler wieder wiederholt, sich beispielweise zu viel vorgenommen? Zeit für ein Resumee…
Potenzierte Euphorie
Der Befreiungsschlag war gelungen: Die Ablöse von Hausherrinnenschaft erreicht. Der letzte Mietzins beglichen und die Bude geräumt: Was ein geiles Gefühl von Freiheit – die Mietwohnung verlassend – dem heuchlerischen Hausmeister endlich den gewünschten Nackenschlag verpassend – der wo lange verkniffen wurde, weil man ja angewiesen war! Wenn Abhängigkeiten sich auflösen, fühlt man sich groß – und so ging es los!
Auto voll – Küche leer – erstmal nicht bewusst, was diese Küche eigentlich bedeutete. Schrank, Tisch und Herd, Lagerregal – ein Palindrom – aber diese Zeiten lassen sich nicht einfach umdrehen. Hier hat man bis morgends mit Freunden (a)sozialisiert, getrunken, gespielt und sich wiederholt verlabert! Spontanität Level 100! Sowas wird vermisst werden – lernen wir dann irgendwann nachträglich. Hinterher ist man immer schlauer! Niemand wird spontan zum Wizzard auf dem Lande!
Aber man will woanders hin. Den Sinn finden. Im Anderswo. In der Ruhe, in der Stille, auf dem Land. In Brandenburg. Es war nicht unbedingt Grebes Mut der uns zum Aufbruch bließ. Vielmehr der Eigene. Und eine romantisch verklärte und durchgefärbt-verblasste Erinnerung ans Landleben. Daneben natürlich auch ein geringer Anteil wirtschaftlichen Pragmatismus. Denn wir hatten weder einen alten VW noch ein Surfbrett unterm Arsch und so waren wir für die rote Schlange mit S als Kreditnehmer uninteressant und mussten uns anderweitig um Moneten bemühen. Dabei fanden wir viel Unterstürtung von Freunden und Familie. Den Rest der Lösung des Problems gab es nur mit Anschluss an das alte Leben. Pendeln nach Berlin. Nur temporär!
Erstmal ankommen
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne (Hesse). Und wir waren sowas von verzaubert! Mit unserer Rosa-Roten Brille konnte uns nichts entmutigen oder Einschüchtern. Auch nicht die vielen Überraschungen, die marode Elektrik, der kaputte Dachstuhl, die zerstörten Dielen und schon gar nicht unsere ersten Tränen. Aber es gab verdammt viel zu tun! Was am meisten Kraft kostete, war es Ordnung und Struktur zu halten und sich zu organisieren. Hier fand sich definitiv die steilste Lernkurve. Und irgendwie hatte unser Provisorium auch was romantisches! Wir haben quasi mehrere Wochen im eigenen Haus gezeltet und waren von wilden Tieren (Mäuschen) umgeben. Mit all dem Staub und Dreck fast wie eine Safari in der Wüste.
Auf Zauber folgt Alltag
Nehmen wir die größte Erklärung vorab und spoilern ein wenig: wir sind im Alltag angekommen! Es ist noch nicht ganz der Alltag, den wir uns erträumt haben und es fehlt noch einiges zur Perfektion, aber wir waren, sind, und werden im Prozess sein und bleiben um unser Ziel eines entschleunigten, sinnerfülltem, zufriedenem und ideenreichen Landlebens zu verwirklichen!
Zwischendrin hat uns der Alltag. Gerade für Susan ist die Pendelei nach Berlin nach wie vor eine große Anstrengung und füllt damit ihre Arbeitswoche auf satte 62,5 Stunden. Wir verabschieden uns morgens mit einem Kuss und essen abends gemeinsam Abendbrot. Zwei Stunden später ruft bereits das Bett. Da beginnt man sich umzuorientieren, ist aber als Kommunikationswirtin in unseren Gefilden nicht allzugut aufgestellt. Bei mir ist es anders. Meine Arbeitsstelle ist um die Ecke und im Gegensatz zu festen Arbeitszeiten habe ich eher ein Arbeitssoll was es zu erfüllen gilt. Diese Vorzüge können aber auch lästig sein: Es kommt nicht selten vor das ich Termine am frühen morgen und dann wieder spät abends habe. Die Zeit dazwischen ist oft irgendwie verloren, weil es sich nicht lohnt irgendetwas ernstes anzufangen. Hinzu kommen vermehrt Wochenendtermine, die uns beiden wiederum Beziehungszeit und gemeinsame Freizeit rauben. Darüber hinaus befindet sich meine Betriebsstätte seit eineinhalb Jahren im Provisorium und ich bin darauf angewiesen vermehrt von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Durchmischung von Wohn- und Arbeitszimmer ist manchmal auch gar nicht so einfach, weil der Kopf einfach nie zur Ruhe kommt und sich neben den ganzen Bauprojekten und Vorhaben eben auch noch sehr viel mit Arbeitsplanung und Arbeitsprojekten auffüllt.
Wir wollten uns befreien
Alltag bedeutet aber auch, dass nicht mehr alles superneu ist. In vielen unserer Baurenovierungsvorhaben und Vorgänge hat sich mittlerweile eine Routine eingeschlichen. Eine Routine, die wir Müde sind so genau zu dokumentieren. Und eine Routine, die wir zu überwinden wünschen. Jeder der in einer ähnlichen Situation steckt oder gesteckt hat sagt uns: Mit eigenem Haus und Garten hört das nie auf. Es gibt immer was zu tun. Der Nebensatz „Packen wir es an“ verhallt allmählich. Denn wir haben andere Agendas, die wir allsbald verfolgen möchten: Den eigenen Garten, die Selbstversorgung, Pizza backen, Feuer machen, Basteln, Schafe melken, Wolle spindeln, Töpfern, Spaziergänge, etc. etc. Die Liste wird immer länger. Und während wir es prinzipiell auch sehr gut schaffen dies parallel zu erreichen, wirkt in uns immer noch der erste Funke und der romantisch-verklärte Gedanke: Wenn wir erstmal auf dem Land wohnen, dann wird alles komplett anders! Das waren die Zeiten, wo Achtsamkeit für mich noch ein geiler Begriff war mit dem ich mich identifizieren konnte. Mittlerweile denke ich, Menschen die Achtsamkeit gut finden, haben zu viel Zeit.
Hausrenovierung – Das letzte Quäntchen
Unabhängig davon, dass es nie aufhört und wir überall bis ins unermessliche Weiterbauen könnten, haben wir schon ganz schön viel gewuppt! Unser Renovierungstagebuch ist Zeugnis dieser Leistungen. Von einer ersten Bestandsanalyse über das Verputzen der Räume mit Lehm bis hin zur Beräumung des Bauschutts. Vom Mamut-Projekt Ferienwohnung ganz zu schweigen!
Doch bei all diesen Projekten und Zwischenetappen stellt sich eine Gemeinsamkeit ein: sie bleiben unvollendet! In jedem unserer Räume findet sich ein letzter Makel, der unsere Aufmerksamkeit bräuchte. Sei es eine fehlende Fussleiste, ein unlackiertes Brett, der fehlende Sofabezug, ein nicht zugeschnittener Vorhang, ein unverkleidetes Heizungsrohr! Irgendetwas möchte in die Welt hinaus schreien: Ich bin noch nicht so weit. Ich bin unfertig. Bitte sei nachsichtig. Ich komme noch und muss noch wachsen… Ist es die eigene Angst vor Erfüllung? Die Angst den Status Quo als Finale zu bezeichnen. Die Furcht etwas abschließen zu müssen? Oder ist es eine angenehme Ausrede immer wieder sagen zu können: wir sind noch nicht fertig – die Dinge wachsen noch!? Die Antwort darauf findet sich vermutlich erst in einigen Jahren…
Permakultur – Selbstversorgung – Nachhaltigkeit
Wir machen alles neu und anders und besser. Wir produzieren die kritischsten Konsumgüter selbst: Fleisch, Milch und Eier. Statt Superfoods aus Südamerika bauen wir Brokolie, Sanddorn und Physalis an, haben immer frischen Salat, Gurken und Tomaten und Kochen ein, fermentieren und konservieren gesunde Lebensmittel über das gesamte Jahr – saisonal – regional und natürlich ohne Plastikverpackung! Das erste Ei war ein Triumph, das erste Schlachten erschütternd und wir wussten, dass wir zukünftig nicht mehr Tiere des Schlachtens wegen halten wollen. Die Milch ließ auf sich warten. Und neben der vielen Arbeit am Haus gedeihten eigentlich nur die Brennesseln sehr zuverlässig. Aber hey, Brennesselsamen sind auch ein Superfood und enthalten mehr verfügbare Inhaltsstoffe als Chia oder Gojibeeren. Und mittlerweile schaffen wir es auch unseren Korb zum Einkaufen mitzunehmen.
Alles braucht Energie und Aufmerksamkeit. Und das was uns vermutlich am stärksten mit Energie versorgen könnte, muss leider noch etwas zurückstecken, bis uns die Baustelle entbehren kann. Hier ist Luft nach oben.
Weiterreisen- Ein Sneak Preview
Der Winter ist Einkunft und Herbst im Herzen. Wir haben begonnen erneut in uns zu gehen. Dieser Beitrag sollte dies bezeugen. Wir rezipieren unsere Aufzeichnungen in Text, Bild und Wort, reflektieren wo wir hinwollten, wohin wir kamen und wie es weitergehen soll. Und wir sind uns einig darüber, dass wir mehr Zeit finden möchten. Zeit zum Leben. Zeit am Hof zu sein. Zeit mit Menschen zu verbringen. Weniger Arbeiten um Leben zu können. Wir wollen runterfahren, entschleunigen, ankommen. Das war der Plan. Das Vergessen wir nicht. Und wir träumen und reflektieren weiter. In Wort, in Bild, in Gedanken. Bis morgen…