Wir haben das erste Fleischpaket bestellt und erzählen heute und hier von unseren Erfahrungen und der Planwirtschaft, from Nose to Tail und der Ernsthaftigkeit der Situation, unbedingt weniger Fleisch konsumieren zu müssen…
Auf dem Lande, wo die Tiere unterm Sternenzelt leben und sterben…
Als wir vor drei Jahren aufs Land zogen, taten wir dies mit der Hoffnung, dass sich unsere Lebensqualität auch im Bereich der Lebensmittelversorgung verbessern würde. Wir gingen irgendwie davon aus, diese ganzen glücklichen Tiere auf den Supermarktverpackungen würden hier, in den Weiten des Oderbruchs, grasen und friedlich weiden und wir würden nun die Möglichkeit bekommen, direkt von den Erzeugern gute und frische Produkte beziehen zu können. Das ist vielleicht auch ein bisschen meinen Kindheitserinnerungen geschuldet: Auf lokalen Märkten und Festlichkeiten gab es stets diverse Produkte aus der Region. Das fing an bei der Backstube im Knüll, dessen Bäckerin noch selbst Urgetreide anbaute und daraus im Holzofen das eigene Sauerteigbrot backte, zog sich fort über die Käserei mit eigenen Freiland-Schafen und -Ziegen, die an den Hängen unter den Wäldern grasten, bis hin zur Bratwurst aus Sattelschweinen der Schwalm. Auf lokalen Handwerks-, Kunst- und Trödelmärkten, wurde Lokales angeboten und verkauft. Diese sinnhafte Selbstverständlichkeit sollte sich hier jedoch nicht einstellen…
Wenn’s um die Wurst geht
Eben aufgrund dieser erwähnten Kindheitserinnerungen freue ich mich bei Dorffesten und Flöhmärkten vor allem über eins: die solide, schmackhafte und grobe Bratwurst: Selbstverständlich in einem hausgebackenem Brötchen mit Senf gereicht – vorher über Holzkohle verraucht und gebraten! Doch dieser gewissenhafte Genuss stellte sich hier nur auf dem ersten Fest, das wir besuchten, ein: Auf dem Oderbruchtag in Neulewin gab es von der heimischen Jägerin Wildschweinbratwurst mit Zitronengras. Den Preis von 3,50€ hielt ich gerechtfertigt. Auf allen weiteren Märkten und Events verhielt es sich allerdings anders: Billigfleisch vom Discounter in Großpackungen auf den Grill gepackt – als regionale Spezialität feilgeboten! Zum Kampfpreis von 2€. Die Fleischbetriebe und der Einzelhandel hier sterben. Das Handwerk und die Landwirtschaft gehen mit der Region ein. Ist die 2€ Bratwurst Schuld daran? Ist sie Symbol für Tierleid, Ausbeutung, Gier und Konsum? Oder schmeckt sie in dem Moment einfach zu gut und vermag alles auszugleichen?
Ausverkauft und Verraten
Zwanzig Cent pro Tier verdient ein Tierwirt an einem Broiler, den er fünf Monate durchgebracht hat. Mit Subventionen versteht sich. Sonst wäre es ein Minusgeschäft. Deswegen geht er auf 20.000 Tiere. Das erzählt mir der Hühnerzüchter aus dem Mastbetrieb im Nachbarort: Die Tiere haben seit der Verladung aus dem Transporter den Himmel nicht mehr gesehen (wohlgemerkt ist der Himmel hier, wo das Bruch so weit scheint, sehr weit in seiner Gesamtheit. Aber das können ja nur wir Menschen intellektuell begreifen)!
Die Bauern. Sie protestieren wieder und erboßen sich über die schlimmen Grünen! Und die alten weißen Herren im Bruch mokieren sich: Früher war alles besser und die Politik will uns an allen Mett-Enden einschränken. Direktvermarktung und das „Weniger ist Mehr und dafür exquisit“ – Prinzip ist noch nicht so richtig durchgeweicht und durchgedrungen! Weil Fleisch kein Genussmittel sondern Alltagsdroge ist – etwas, das wir alltäglich konsumieren können! Tiere zu quälen macht allerdings Arbeit und muss organisiert werden. Wie viele Menschen braucht man, um 20.000 Tiere in einem vollautomatisierten Mastbetrieb versogen zu können!? Richtig: 0,25! Versprochene Arbeitsplätze adee°! Und der Betrug geht weiter! Umweltschäden durch Trinkwasserabgang, verseuchte Erde / ätzenden Hühnerkot – Hauptsache Produktionskonform…
Wir halten Tiere, um sie zu essen
Ich bin Idealist und möchte gleichzeitig niemanden vorschreiben, wie er sich zu verhalten und wie er zu leben hat! Ich lebe nach dem Grundprinzip, dass meine Freiheit dort aufhört, wo die eines anderen Menschen anfängt. Und weil wir alle diese ganzen Skandale und Perversionen um die Fleischproduktion schon kennen und kein Puzzleteil des Problems mehr sein wollen, beschlossen wir, unseren Fleischkonsum auf die eigene Produktion zu stützen. Als Konsument*Innen wollen wir einen positiven Einfluss durch unser Verhalten erreichen. Klar ist der Kassenbon ein Stimmzettel. Klar liegt in jedem die Verantwortung und Kraft. Aber die Realität ist anders. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Und unser Belohnungssystem funktioniert nunmal noch wie im Mittelalter. Ein guter Deal ist ein guter Deal! Ein Schnäppchen bleibt ein Schnäppchen. Und wir leben im Jetzt! So wie es uns immer gepredigt und angeraten wird – unser Leben zu etwas ganz besonderem zu machen, uns was zu gönnen und jeden Tag zu leben, als wenn es der letzte wäre – YOLO!
Doch durch diese Einstellung verursachen wir unheimlichen Schaden! Wir können billig kaufen, weil andere für uns bezahlen. Die Globaliserung hat den Kolonialismus nicht abgeschafft, sondern potenziert. Abgesehen vom Schaden, den wir in anderen Ländern anrichten, schaden wir auch den kommenden Generationen in unserem eigenen kleinen Kosmos: Antibiotikaressistente Keime, verseuchte und ausgelaugte Böden, Insektensterben durch Pestizide und letzlich als Individuum als direkteste Konsequenz am einfachsten zu erfahrende Konsequenz: Die Arbeitslosigkeit und der wirtschaftliche Ruin durch Automatisierung und die Zerstörung des kleinen, diversen, lebendigen, einzelnen Menschen.
Ein paar Zweinutzungshühner, ein paar Schweine, ein paar Schafe und Enten des eigenen Bedürfnisses Fleisch zu essen wegen zu halten, erschien uns vernünftig. Den Einblick, den wir dadurch bekommen konnten, beeinflusste unseren Fleischkonsum nachhaltig. Zu sehen, was unsere Tiere von der Aufzucht bis hin zur Tötung brauchen um sich wohl zu fühlen, gesund zu sein und artgerecht zu existieren hat uns größten Respekt vor dem Produkt Fleisch gelehrt! Ich selbst stand kurz davor, Vegetarier zu werden. Rein logisch gesehen, wäre das die konsequenteste Reaktion. Aber auch ich bin ein Mensch über der Rationalität. Mit Prägungen und Erinnerungen und Gewohnheiten. Die meisten anderen Tiere töten auch. Sie bilden damit nach dem Räuber-Beute-Prinzip wichtige ökologische Zusammenhänge und sorgen für Balance in diffizilen Ökosystemen. Diese Balance müssen wir als Mensch wieder finden. Damit die Ozeane nicht überfischt, die Böden nicht ausgelaugt und wir nicht in moralischen Dilemmata verweilen! Weniger ist mehr…
Transparenz und Sicherheit als Kaufargument
Der gläserne Mensch war eine dystopische Vision, die ich damals als abschreckendes Beispiel zur Globalisierung im PoWi-Unterricht vorgeführt bekommen habe. Jetzt hat das Gläserne und die Transparenz für mich etwas sehr Positives! Es ist nicht nur ein Aufdruck eines grinsenden Schweins in der Heide auf einem vakuumierten Fleischprodukt im Discounter, sondern es ist der Eindruck über soziale Medien wie Instagram, durch die ich Erzeuger von Lebensmitteln jeden Tag mitverfolgen und authentische Eindrücke in ihre Betriebe gewinnen kann, sehen kann, wie die Tiere leben, wie die Landwirte mit ihnen umgehen, was für Gedanken sie sich machen und woraus sie in ihrer täglichen Arbeit Kraft schöpfen. Einer dieser Landwirte ist Ingmar vom Bornwiesenhof. Von ihm kauften wir unser erstes Fleischpaket…
Eines für alles alle
Ich muss schmunzeln, wenn ich an 2010 zurückdenke, als ich die Fleischfachverkäuferin im Edeka am Kottbusser Tor nach Markknochen fragte und sie mich verwundert anschaute und sagte, ich sei der Erste, der hier seit dem sie im Szenekiez arbeite danach fragte. Die Leute würden für gewöhnlich nur nach Kalbsbäckchen und Filetspitzen fragen. Im Fleischpaket hast du alles. From Nose to Tail steht da im Hipster-Duden. Früher Selbstverständlichkeit – heute Ausdruck von Fancyness und richtig woke. Aber der Mensch muss sich immer wieder neu erfinden. So auch meine Markknochensuppe von meiner Oma, die ich heute mit Ingwer, Galgant, Lemongras und Morcheln zu einer asiatischen Köstlichkeit verfeinere. Der Schüler muss den Meister überbieten!
Diese Vielfalt bot sich uns im Fleischpaket. In einer Strohbox tiefgekühlt verschickt kamen die einzelnen Komponenten in Portionen für zwei vakuumiert und verpackt an und wanderten direkt in unsere Tiefkühltruhe. Hier werden sie für 50 Kg CO2 im Jahr für den Verzehr warm gehalten. Zusammen mit unserem selbst angebautem Gemüse. Diese 50kg klingen nach sehr viel. Tatsächlich ist es ein Bruchteil im Vergleich zu konventioneller Landwirtschaft, in der viele Tiere in engen Ställen mit gentechnisch verändertem Soja aus der Abholzung des Regenwaldes gemästet werden, anstatt weniger Tiere auf einer riesigen Weide grasen und sie ihr natürliches Futter in einer größeren Zeitspanne verzehren zu lassen. Aber klar, ein Abdruck bleibt. Wir hinterlassen Spuren. Das tut jede Existenz auf diesem Planeten. Die Frage ist nur, ob diese Fußabdrücke so tief sind, dass Nachfolgende hineinstürzern, oder ob sie als Hilfestellung für einen gefestigten Weg dienen…
Zeit ist Trumpf
Zeit ist ja stets eine sehr wertvolle Zutat in allen Dingen. Immer mehr Studien und Erkenntnisse weisen darauf hin, dass den Dingen in der Regel die Zeit fehlen mag, um sie und sich zu perfektionieren (Eine neue Studie weist darauf hin, dass eine vermeintliche Glutenunverträglichkeit lediglich mit der Ruhezeit des Brotteigs zu tun habe, da enzymatische Prozesse nicht mehr stattfänden)! So war es bei der Haussanierung mit natürlichen Baustoffen denen konventionelle Baustoffe nur in Sachen Zeitgewinn voraus seien können; so ist es bei der Fertigstellung von Projekten, wo in 20% der Zeit 80% der Arbeit verrichtet und weitere 80% Zeit für die letzten 20% verbraucht würden, und so ist es auch am Kochtopf, mit dem besten Fleisch der Welt.
Gut Ding braucht Weile. Studien ergeben ebenfalls, dass es Sinn macht, die gegebene Zeit mit Wertigkeit, Wertschätzung und Freude zu füllen! Mit anderen Worten: Habe Spaß an dem was du tust und nutze den Weg nicht als Mittel zum Zweck, sondern das Gegenwärtige als Ziel der eigenen Erfüllung! Was könnte es also Schöneres geben als Stunden in Folge gebeugt über einem dampfenden Kochtopf zu verbringen, die Gerüche zu internalisieren, zu lächeln, zu genießen und den Schaum abzuschöpfen.
From Nose to Tail ist Aufklärung – Vielfalt im Gewebe
Endlich zum Thema: Ganzheitliche Verwertung von Lebensmitteln bedarf Kenntnis und Investement. Die meisten Lebensmittel, vor allem im Fleischbereich, sind vorgefertigt und zielen auf Geling-Garantie. Da steht die fein säuberlich separierte Putenbrust dem Achtel Rind gegenüber. Bei Zweitem bedarf jedes Einzelteil eines besonderen Treatments und fordert die Bereitschaft, sich die Hände schmutzig zu machen. Das Fleisch muss gesäubert, pariert, zugeschnitten und gereinigt werden. Anschließend ergeben sich diverse Garverfahren für unterschiedliche Komponenten. Eine Beinscheibe schmort neben Gulasch und Kochfleisch im eigenen Saft einen halben Arbeitstag, um mürbe und zart zu werden, während Filet- und Rückenstücke scharf angebraten und hochtemperiert für die Dauer einer Zigarettenpause gemaillard werden! Ein Fleischpaket ist damit keine Fünf-Minuten-Terrine, die sich im Raum-Zeit-Kontinuum immer gleich verhält! Um das letzte Quäntchen Geschmack und Genuss rauszuholen, braucht es etwas KnowHow und Hingabe für die Zubereitung! Vor allem aber auch Voraussicht! Schließlich müssen Produkte aus dem Fleischpaket vorher schonend aufgetaut werden. Zum Yolo-Lebensprinzip gegensätzlich steht die Planung. Finde ich ganz gut, da ich älter werde und Planbarkeit mir einen gewissen Seelenkomfort bietet. :-). Der schöne Nebeneffekt: Widersteht man gegenwärtigen Gelüsten, reduziert sich der Fleischkonsum von selbst!
Drei Monate später: Die Grillsaison ist vorbei, Würste, Filets, Roastbeef und Steaks fielen der Holzkohle zum Opfer, der Herbst spannt sein Gewand…
Sechs Monate später: Der Herbst ist da. Suppen- und Eintöpfe mit Kochfleisch und Beinscheibe – das Paket dünnt sich aus…
Neun Monate später: Der Winter ist da und mit ihm das Gulasch und die Knochenbrühe! Kraftessenzen werden stundenlang verkocht, gespickt mit lokalen und regionalen Spezialitäten: Trockenpilze und Winterrüben aus der Region, machen die Suppe schmackhaft und lecker!
Ein Jahr später: Ein paar Steaks haben überlebt. (Kleiner Scherz). Wir haben ein gutes Gewissen! Wir haben wenig zugekauft! Und wir haben auch wegen der eigenen Schlachtung das Feingefühl und den Sinn für Tier und Leben wiedergefunden! Einmal die Woche Fleisch – eine Weisheit meiner Uroma – das wären bei 52 Wochen tatsächliche 15Kg Fleisch im Jahr – 300 Gramm in der Woche! Genuss und Sünde scheinen im Gleichgewicht! Die Zukunft umgestalten…!?
Wie bringt man dem Mensch bei, dass er durch seinen Lebenswandel zerstört und Menschenleben verletzt? Die Moralkeule zu schwingen hilft selten. Wir müssen durch Erzählungen vom Gegenüber lernen und Wissen transferieren. Gerade in dieser schnelllebigen Welt haben wir die Zeit zum Lerrnen nicht mehr. Es braucht die Politik, die fürs Volke für gemeinwohliges Verhalten belohnen muss. Und es braucht das Leid und die Qual der Tiere, um uns zu drohen! Es braucht nachhaltige Bildung und Lernen zum Lernen. Wir müssen ganz klein und von ganz vorne mit voller Fahrt anfangen, um das Unaufhaltsame mit großen Schritten ganz sachte zu entschleunigen…
Essen kann Frieden sein! So lange für alle genug da ist! Und die, die immer noch auf den Kassenzettel hören und Billigfleisch vom Discounter konsumieren: auch ihr tragt einen wichtigen Teil zur Lösung des Problems bei! Denn in Nuggets, Wurst und Formfleisch sind Schlachtabfälle, Collagene, Wasser, Binde- und Füllmittel und Gewürze verarbeitet. Der Fleischanteil beträgt maximal 30% wie eine Dokumentation vom ZDF aufgedeckt hat. Somit tragt auch ihr zum reduzierten Fleischkonsum bei! Chapeau!
In diesem Sinne einen guten Apetit!